Texte und Übungen aus Rundbriefen 2023
1. Viele Übungen – ein Weg
Der Buddha hat uns mit den Vier Edlen Wahrheiten und dem daraus entstandenen Edlen Achtfachen Pfad eine Fülle von Methoden und Übungen gegeben. Damit wir uns damit nicht überfordert fühlen, kann es hilfreich sein, diese Fülle auf das Wesentliche zu reduzieren.
Reduktion eins: Die Vier Edlen Wahrheiten bedeuten: Es gibt Leiden im Leben, es gibt eine Ursache, das Leiden kann überwunden werden, das Mittel dazu ist die Anwendung des Achtfachen Weges.
Leiden bedeutet, dass grundsätzlich im menschlichen Leben etwas nicht in Ordnung ist. Diese Einsicht steht am Anfang, denn sie gibt die Motivation und Ausrichtung, die für einen Weg notwendig ist. Sie lässt uns erkennen, was uns daran hindert (Begehren) und die Überzeugung, dass in unserem Geist die Kraft steckt, sie Sache wieder in Ordnung zu bringen.
Reduktion zwei: Im Grunde gibt es nur ein Mittel, das wir brauchen, nämlich die in unserem Geist vorhandene Bewusstheit (Achtsamkeit) = Rechte Achtsamkeit.
Reduktion drei: Jede Überzeugung birgt die Gefahr, dogmatisch zu werden. Deshalb brauchen wir neben der Überzeugung = Rechte Einsicht, einen friedlichen, hassfreien Geist. = Rechte Gesinnung. Ein Bein ist die Überzeugung, das zweite Bein ist die liebevolle Haltung.
Damit haben wir schon drei Teile des Achtfachen Pfades.
Reduktion vier: Jetzt wird es sehr übersichtlich. Die Achtsamkeit wird angewendet auf eine Sache, nämlich auf unser ganzes Leben. (Ganzheitlicher Weg). Das bedeutet, wir achten im tägliche Leben auf unser Reden, Handeln und den Beruf ( = Rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebenserwerb) und wir achten auf unseren Geist, indem wir unser Denken kontrollieren und sammeln = Rechtes Bemühen, Rechte Sammlung. Das sind die anderen fünf Teile des Pfades.
Zusammenfassung: Der eine Weg besteht darin:
Die Notwendigkeit einsehen, einen Weg zur Befreiung (von der Unordnung, vom Leiden) gehen zu wollen. Als Ausrüstung nehmen wir Achtsamkeit und Liebe.
Anwendung bedeutet: Im tägliches Leben (Rede, Handeln, Beruf) achtsam zu sein und etwas zu verändern. Die Quelle unseres Seins, den Geist (als Denken und in der Sammlung) zu erkennen und zu verändern.
Schlussbemerkung: Ein Weg bedeutet auch, sich in eine Sache zu vertiefen. In jeder Zelle des Lebens steckt der ganze Bauplan. Du brauchst nur zu erkennen, wovon das ganze Leben bestimmt wird (Begehren, Wollen) und welchem Gesetz wir alle unterworfen sind (Vergänglichkeit). Erkenne die wahre (unvergängliche) Natur deines Geistes.
2. Bedeutung der Aufrichtigkeit
Ich höre noch die Stimme eines guten Freundes auf dem Weg, der leider im vergangenen Jahr diese Welt verlassen hat, wenn er bei unseren Treffen sinngemäß sagte: „Der Buddha zeigt uns, dass wir uns und die Welt immer durch eine gefärbte Brille sehen.“ Ein spannender Teil unserer Übung der Achtsamkeit ist es herauszufinden, welche Brille wir gerne aufsetzen und was wir damit verdunkeln und verbergen. Heute möchte ich über die Brille mit der Färbung Unehrlichkeit und Täuschung sprechen. Ich unterscheide hier drei verschiedene Ebenen.
Ebene 1, Grundübung Basis
Unrechte Rede zu vermeiden ist eine der fünf vom Buddha gegebenen Lebensregeln. An erster Stelle wird das Lügen genannt. Meine Erfahrung ist, dass Menschen, die sich in diesem Leben geistig weiterentwickeln wollen, ein natürliches Gespür dafür bekommen, dass jede bewusste Lüge nicht nur anderen, sondern vorwiegend ihnen selbst schadet. Als Kinder war uns das sicher noch nicht bewusst und so haben wir eines Vorteiles willen oder aus Angst sicher gelegentlich gelogen. In welchem Maß das später fortgeführt wird, hängt oft auch von Erziehung und sozialen Werten ab. Mein Vater legte großen Wert darauf, mir das Lügen früh auszutreiben. Da er aber kein anderes Mittel kannte als drakonische Strafen, erreichte er kurzfristig oft das Gegenteil, denn ich fühlte mich geradezu gezwungen zu lügen. Dennoch habe ich später dieses Ideal dann doch übernommen.
Der Buddha selbst wurde offensichtlich auch damit konfrontiert, denn sein Sohn Rahula neigte zum Lügen, selbst als er bereits Mönch geworden war. In einer bemerkenswerten Rede (MS 61) erklärt der Erwachte ihm, dass das Leben eines lügenden Mönches so wertlos ist wie eine umgedrehte Bettelschale, in die man nicht einmal Wasser geben kann. Dann verwendet er folgen-des Argument, dass übrigens auch mein Vater hatte: „Solange einer lügt, ist er auch zu anderen üblen Handlungen fähig.“
Interessant ist dann, dass er ihm im Folgenden eine Anleitung gibt, wie man den Vorsatz, diese Re-gel einzuhalten, auch umsetzen kann. Er soll seine Handlungen so betrachten wie in einem Spiegel, also täglich darüber reflektieren, ob eine Handlung, Rede oder Gedanke einem selbst oder anderen schadet. Wenn das klar ist, fällt es leicht, sie zu lassen.
Auf ähnliche Weise sieht Thich Nhat Hanh alle fünf Lebensregeln als eine Übung der Achtsamkeit, als ein Weg zur Bewusstwerdung der eigenen geistigen Muster und deren Änderung vom Schädlichen zum Heilsamen.
Obwohl wir grundsätzlich in unserer Gesetzgebung Lügen und Täuschen als verwerflich ansehen, bewegt sich dieses Verständnis, wie jedes Gesetz, dessen Einhaltung auf Verhängung von Strafen beruht, an der Oberfläche. Das ist auch in Ordnung, aber für eine stabile Gesellschaft zu wenig. So ist es kein Wunder, dass die meisten derzeit verbreiteten gesellschaftlichen Strukturen im Privaten, im Berufsleben und in der Politik den jeweiligen Erfolg über die Wahrheit stellen. Das verunsichert natürlich den Einzelnen und erschüttert das Vertrauen der Mehrheit. Derzeit sieht es sogar so aus, dass gerade in den demokratischen Staaten Menschen, die mit den dreistesten Lügen arbeiten, viele Anhänger finden, weil sie wenigsten ein Bild von Sicherheit anbieten, das jedoch falsch und gefährlich ist.
Um so wichtiger ist es, dass du und ich und alle auf dem Weg nicht nachlassen, so aufrichtig wie möglich zu handeln. Wie das gegen den Strom möglich sein kann, behandle ich im nächsten Ab-schnitt.
Ebene 2, Grundübung, Mitte
Als scheinbar einfache Übung empfehle ich in einer Meditation am frühen Morgen den Geist da-rauf auszurichten, bei allen Begegnungen und auch zu sich selbst möglichst ehrlich zu sein. Wir müssen ständig Entscheidungen treffen. Untersuche nun mit deiner Achtsamkeit, welche Gründe es gab, die eine oder andere Wahl zu treffen. Hast du den Besuch bei einem Freund wirklich abgesagt, weil dir etwas dazwischen gekommen ist, was du ihm jedenfalls gesagt hattest, oder hattest du einfach keine Lust? Ein anderes Feld der Untersuchung sind deine Berichte über vergangene Ereignisse und deine Bewertungen. War wirklich bei deiner letzten Reise, von der du erzählst, alles so großartig, war die Stadt wirklich so unerträglich? So kannst du mit der Zeit bemerken, wie oft du für dein Verhalten andere Gründe angibst, um vielleicht nicht verurteilt zu werden, wie häufig du Erlebnisse so beschreibst, dass du etwas besser dastehst. Vielleicht merkst du bei dauerhafter Übung, wie sehr du von bestimmten Mustern der Unaufrichtigkeit bestimmt wirst, gerade wenn es um etwas geht, das du bei anderen erreichen willst. Im Grunde birgt schon jede Art von Strategie eine gewisse Unaufrichtigkeit in sich, indem ich Sachverhalte etwas anders darstelle, als ich sie eigentlich sehe. Solche achtsamen Untersuchungen brauchen etwas Zeit und viel Mut für die Bereitschaft, bestimmte Bilder der Identifikation aufzuweichen und damit unsicheres Gelände zu betreten. Als Übende, die ein normales Leben führen, wollen wir nicht dem Ideal des völligen Rückzugs von der Welt folgen. Als ernsthaft Übende sollten wir uns dafür jedoch geistig radikal vom üblichen Verhalten zurückziehen. So werden auch wir den Weg vollenden.
Der nächste Schritt ist die wichtige Frage, wie kannst du solche Einsichten umsetzen, wie verän-dern sie deinen Umgang mit anderen und dadurch auch deine Beziehungen. Das erfordert Mut. Meine Erfahrungen damit zeigen mir, dass solch eine wachsende Ehrlichkeit gegenüber anderen nach einigen oft auch schmerzlichen Erfahrungen, dann zu viel größerer Zufriedenheit und Harmonie führt.
Allerdings darf man das ehrliche Handeln nicht falsch verstehen. Es geht nicht um eine starre Re-gel, die nun vorschreibt immer und in jeder Situation schonungslos ehrlich zu sein. Die ganze Übung ist ein Prozess, geht immer zuerst von der Selbstbetrachtung aus, muss aber dann entscheiden, welche Worte und Handlungen angemessen und nicht verletzend sind. Außerdem bleibt hinter allen persönlichen Erkenntnissen immer noch die Frage, ist das jetzt Erkannte die endgültige Wahrheit? Damit kommen wir zur nächsten Ebene.
Ebene 2, Grundübung, Spitze
Sicher ist die Ehrlichkeit zu sich selbst eine große, aber lohnende Herausforderung, die darin be-steht, dass eine Übende, ein Übender sich seines speziellen Mensch-Seins bewusster wird. Außer-dem bedarf es einer starken Motivation und dauerhaften Bemühens. Die Belohnung liegt aber nicht nur in einem größeren Feld des Friedens in der eigenen Welt, sondern dass sich mehr und mehr das Bewusstsein für die Frage öffnet, was denn nun im Menschenleben wirklich als wahr und recht angesehen werden kann. Sind nicht letzten Endes auch die ehrlichsten Absichten auch nur von bestimmten Meinungen und Überzeugungen gesteuert, die vielleicht auch nicht allgemein gültig sind. In der Rede „Netz der Ansichten“ (LS 1) spricht der Buddha von 62 Ansichten, also verschiedenen Konzepten, die als Wahrheiten getarnt, alle auf Begehren beruhen und uns zum Fest-halten verleiten und dadurch die größten Hindernisse sind. Man denke nur daran, wie das Festhalten an den verschiedenen religiösen Systemen zum größten Unfrieden in der Welt führt. In diesem Netz, sagt der Buddha, hängen wir wie die gefangenen Fische fest und werden aus der Möglichkeit des Erwachens herausgezogen.
Die schonungslose Betrachtung unserer Unehrlichkeit führt uns aus der vermeintlichen Sicherheit in das Offene und Unbekannte und konfrontiert uns mit der eigenen Unwissenheit. Dieses „Nicht-Wissen“ ist jedoch kein Weg in die Verzweiflung, sondern führt uns zur Frage, was wir als unbestreitbar wahr erkennen können. Aber nicht als eine weitere „Meinung“, sondern als eine echte Erfahrung. Der Weg des Buddha gründet sich nicht auf Glauben, sondern auf Erkenntnis. Fast alle Traditionen des Buddhismus empfehlen, über eine sichere Wahrheit zu meditieren: „Alles was er-scheint, muss wieder vergehen.“ Das klingt einfach, doch weil diese Wahrheit und vor allem die daraus abgeleiteten Folgen gegen den Strom unseres Denkens gerichtet sind, ist uns meistens der Zugang verschlossen. Die Folgen dieser Einsicht sind radikal, denn sie bringen andere Wahrheiten ans Licht: jedes Begehren ist im höheren Sinn unsinnig, es ist der Grund für alles Leiden, besonders das Hängen an dem vergänglichen Ich.
Geistige Sammlung, angewendete Achtsamkeit und beständige Kontemplation über solche Wahrheiten können unseren Geist zur höchsten und alles lösenden Aufrichtigkeit führen. In Rede 72, (MS) sagt der Erwachte: „…mit dem Aufgeben aller Vorstellungen, aller Gedankengebäude, allen Ich-Machens, allen Mein-Machens … ist der Erwachte durch Nicht-Anhaften befreit.“ (Übersetzung Zumwinkel).
3. Meditationstext: Aufrichtig sein
Heute will ich mir nichts vormachen.
Achtsam werde ich meine Gedanken beachten und erkennen,
wenn ich mir etwas einbilde.
Heute werde ich auch die kleinen Täuschungen durchschauen,
die verborgenen Unwahrheiten entlarven.
Wenn ich ein schädliches Verhalten bemerke,
werde ich versuchen es abzulegen,
wie eine unpassende Kleidung.
Ich werde mutig sein
und zu meinen Gefühlen stehen,
zu meiner Verletzlichkeit
und zu meinem Nicht-Wissen.
Wenn der rechte Zeitpunkt da ist,
werde ich auf freundliche Weise mitteilen,
was ich fühle und denke.
Heute werde ich ohne Maske verhandeln
und mir erlauben,
meinen Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen.
Heute werde ich meine Unvollkommenheit umarmen
und den Wegweisern zur Wahrheit
ohne weitere Ausreden folgen.
4. Meine vier Wünsche für Dein Jahr 2024
Lasse Dich nicht erschüttern von den äußeren Ereignissen, so leidvoll sie auch für Dich, Deine lieben Mitmenschen und für die lebenden Wesen auf der ganzen Welt sein mögen. Lasse Dich nicht von Deinem Weg abbringen, den Du erkennst, wenn Du dir die Zeit nimmst, in Dein Innerstes hineinzuhören.
Lade jeden neuen Tag, jede Stunde und in jedem Augenblick Deine klare und Dir selbst bewusste Achtsamkeit ein, die Dir Schutz und Halt gibt in unsicheren Zeiten und die Dunkelheit in Dir und außerhalb vertreiben wird.
Stimme nicht ein in den immer stärker werdenden Chor der Verurteiler, die alles schlecht- reden und nichts Gutes mehr erkennen können oder wollen. Lasse Dich nicht von den Dogmatikern hineinziehen in das Errichten der hässlichen Grenzen zwischen den Menschen. Erhebe Deine Stimme, um Deine Unzulänglichkeiten mitzuteilen und die Fehler anderer zu verzeihen. Im Bewusstsein unserer gemeinsamen Unwissenheit arbeite unermüdlich daran, das im menschlichen Dasein verborgene, hohe Potenzial zu entdecken und zum Segen aller zu leben.
Nimm Dir täglich die Zeit Deinen Geist von Gier und Hass zu reinigen. Erkenne das Wertvolle Deiner eigenen Existenz und sprich kein Wort aus, das nicht von Liebe geleitet ist.